Thorwaldsen's Darstellung des Menschen - Ein Kunstgeschichtlicher Umriss #272797

Für den Geschmack des grossen Publikums, fürchte ich, wird dies Buch nicht im rechten Augenblick erscheinen. Hätte es z. B. von Max Klinger gehandelt, so hätte es dem Interesse unserer Zeit näher gestanden, - und nicht mit Unrecht, denn Max Klinger ist nicht nur ein moderner Mann, sondern auch ein merkwürdiger Künstler - als jetzt, wo es von Thorwaldsen handelt, der freilich ein ausgezeichneter Künstler war, momentan aber gerade das Gegentheil eines modernen Mannes ist.<br><br>Seine Kunst befindet sich heut zu Tage in einem Stadium, das man als dunklen Punkt bezeichnen könnte. Sie ist wie die Sonne im Westen untergegangen, in Folge des zeitlichen Wechsels, und sie ist noch nicht wieder ganz im Osten aufgegangen, um in historischer Ewigkeit zu strahlen.<br><br>Es sollte die Frucht von unseres Zeitalters Studium der Geschichte der Kultur und der Kunst sein, dass man doch endlich einmal einsehen lernte, dass sich Geschmack und Mode radförmig drehen, so dass folglich die Dinge abwechselnd hoch und niedrig stehen, - ohne Rücksicht auf den ihnen innewohnenden, wirklichen Werth. Es sind ja nun doch mehr als 2000 Jahre verflossen, seit das allgemeine Gesetz, von dem hier die Rede ist, von dem "Vater der Geschichtsschreibung" aufgestellt wurde. "Merke dir vor allen Dingen", - lässt Herodot den erfahrenen Mann zu dem grossen König sagen - "dass in Bezug auf die menschlichen Dinge ein Kreislauf stattfindet, der nicht erlaubt, dass dasselbe beständig oben ist." Es ist hier wohl in erster Linie an die Herrscher der Staaten und Völker gedacht, an Reichthum, Macht und äusseres Glück; aber selbst wenn jemand die Theorie in diesem Sinne bezweifeln wollte, so wird doch wohl niemand in Abrede nehmen, dass sie ihre volle Gültigkeit hat, wo es sich um die Geschmacksrichtung handelt. Man braucht nicht lange gelebt oder sehr umfassende Studien gemacht zu haben, um hier den Kreislauf zu bemerken.